von süss bis ungeniessbar

Wenn ich mal gross bin…

…dann werde ich Chef! Eine Antwort, die viele Kinder prompt parat haben, wenn man sie nach ihrem Berufswunsch fragt. Viele haben zwar auch noch den Piloten oder die Tierärztin im Kopf, aber der Chef wird immer mehr suggeriert. Überall gibt es Kaderportale, Vereinigungen für Spitzenleute, Treffen für Führungskräfte und wie sie sonst noch so heissen, die Reigen der Bosse aus allen Herren Ländern. Da auch die Knirpse diese Nachrichten heute mitbekommen, liegt der Berufswunsch Chef sehr nah. Zumal sich auch die meisten Eltern für ihren Nachwuchs eine höhere Position wünschen. Von klein auf wird der Spross darauf getrimmt, eine gute Ausbildung zu machen, um es im Leben einmal ganz nach oben zu schaffen. Also wird dem Knirps schon sehr früh eingeimpft, dass man nur jemand ist, wenn man eben ganz oben ist.

Angenommen, diese Rechnung ginge für alle auf: Wer macht dann an der Basis noch die Arbeit? Alle jammern, dass sie keine qualifizierten Arbeitskräfte mehr finden, die auch arbeiten können. Aha! Könnte das vielleicht daher kommen, dass der Nachwuchs auf den Weg nach ganz oben vorbereitet und getrimmt wird? Gute Handwerker sind kaum noch zu finden und die Anforderungen im Berufsleben steigen stetig. Vor allem die Anforderungen an die schulischen Zertifikate. Am besten wäre es, wenn man als Kandidat/in immer 25 Jahre alt wäre, Bachelor- und Masterabschluss bereits in der Tasche hätte, mindestens 4 Sprachen sprechen könnte und über 10 Jahre Berufserfahrung verfügen würde. Schwierig, sehr schwierig, es sei denn, man wird bereits mit der Grundausbildung geboren.

Zudem stellt sich für mich die Frage, ob der Berufswunsch Chef wirklich immer erstrebenswert ist. Chef sein klingt für viele offenbar nach: Viel Lohn für wenig Arbeit! Falsch gedacht! Ich bin selber Chefin einer kleinen Firma mit 6 Angestellten und ich kann euch sagen, dass die Realität oft total anders aussieht. Wenig Lohn für viel Arbeit!

Sicher, es gibt überall Ausnahmen. Ich verstehe aber unter dem Begriff Chef eine Person, die aufbaut, innovativ ist, im Kopf ständig bereit und zeitlich flexibel ist. Dazu sollte ein Chef die Themen mindestens so gut kennen wie seine Angestellten. Und bei Krisen kämpft ein guter Chef an allen Fronten parallel. Nicht immer ist dieses Aufgabengebiet lukrativ, vor allem nicht am Anfang. Ohne Fleiss, kein Preis. Das ist definitiv so! Wer also denkt, dass eine akademische Laufbahn mit unzähligen Diplomen eine Garant für ein dickes Gehalt ist, der täuscht sich gewaltig. Nur die Harten kommen in den Garten – so heisst es zu recht!

Ich bin grundsätzlich gerne Chef, weil ich ein gutes Team habe. Mein Berufswunsch war das aber nie. Es hat sich so ergeben und manchmal wünschte ich, die Verantwortung würde nicht gar so schwer auf mir lasten. Wie muss sich dann ein Chef fühlen, der die Verwantwortung für -zig hundert Angestellte hat und diese Verantwortung auch ernst nimmt. Kein Wunder, dass die Selbstmordrate auf den Teppichetagen sehr hoch ist, denn eigentlich ist der Chef am Ende des Tages an allem schuld, egal ob gut oder schlecht. Das ist wahrlich nicht immer ein Zuckerschlecken.

Drum wäre es doch schön, wenn die Kids wieder vermehrt Berufswünsche wie Schreiner, Zimmermann, Elektriker, Kaminfeger, Krankenschwester, Lokomotivführer oder Automechaniker hätten. Die braucht es nämlich immer – oder hat jemand von euch schon mal einem Prof. Dr. lic. phil. beim Reifenwechsel zugeschaut? Das stelle ich mir lustig vor!

 

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3 Kommentare

  1. luiseshorty

    sehr toll geschrieben!

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