von süss bis ungeniessbar

Tatort Notaufnahme

Musste schon jemand von euch einmal in die Notaufnahme eines hiesigen Spitals. Womöglich am späten Abend oder einem Wochenende. Ich hoffe nicht! Seit nämlich die Hausärzte verständlicherweise keine Lust mehr haben, allzeit für ihre Patienten bereit zu stehen, sehen die Notaufnahmen in den Spitälern zeitweise wie überfüllte Züge zur Hauptpendlerzeit aus. Das haben wir nicht zuletzt dem neuen Krankenkassenmodell zu verdanken. Spardruck sei dank, auch wenn es auf Kosten der Gesundheit geht.

Als ich noch ein Kind war, hat bei einem Notfall die Mutter den Hausarzt des Vertrauens angerufen und der ist mit seinem schwarzen Koffer auf Hausbesuch gekommen. Heute haben die Hausärzte des Vertrauens oft ihre private Telefonnummer gar nicht mehr regisitriert und auf der Praxisnummer antwortet ausserhalb der regulären Dienstzeiten nur der Anrufbeantworter. Dumm nur, dass sich gewisse Unpässlichkeiten nicht an Dienstzeiten halten. Und dann kommt heutzutage die Notaufnahme im hiesigen Spital zum Einsatz. In unserem Fall sah das folgendermassen aus:

Der Sohn kam aus dem Ausland (später Abendflug) nach Hause. Dort hatte er – aufgrund eines unglücklichen Sturzes kurz vor Abflug – eine schmerzhafte Verletzung an der Hand erlitten. Diese war dick angeschwollen, blau und schmerzte sehr. Aufgrund der Schmerzen erschien uns eine gute Nacht unmöglich. Also entschieden wir uns, kurz in die Notaufnahme zum Röntgen zu fahren. Schliesslich sind wir überdurchschnittlich gut versichert und haben diesen Dienst vorher noch nie in Anspruch genommen.

Nun gut: Im Empfangsbereich der Notaufnahme mussten wir sämtliche Personalien, Unfallhergang und Krankenkassendaten aufschreiben, um uns dann in ein völlig überfülltes Wartezimmer zu setzen. Bereits da schwante mir Böses. Ich möchte gar nicht wissen, mit welchen Arten von Viren und Bakterien wir da auf engstem Raum zusammensitzen durften. Ziemlich ratlos schauten wir im Wartezimmer dem Geschehen draussen im Empfangsbereich zu. Da kam ein total überforderter Ehemann mit der Bitte, man möge ihm doch helfen, seine Frau aus dem Auto zu holen, die wegen Atemnot und Brustschmerzen nicht mehr selber aussteigen könne. „Holen sie sich hier einen Rollstuhl“, wies ihn die Empfangsdame völlig entspannt an. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Atemnot und Brustschmerzen – wäre das nicht der Zeitpunkt, in welchem die Alarmglocken läuten und alle losrennen sollten? Fehlanzeige! Der arme Mann musste sich und seiner Frau selber helfen. „Mangels Personal“, wie die Gute im Empfangsbereich meinte. Wir wurden anschliessend aufgerufen, um uns in ein Vorzimmer zu setzen, wo wir mit einer Assisstenzärztin erneut ein Formular ausfüllen mussten. Wieder ging es dabei um die Personalien, den Unfallhergang und die Krankenkassendaten. Ich dachte, ich sässe bei der „Versteckten Kamera“. Langsam aber sicher wurde ich leicht säuerlich. Als die junge Frau in ihrem weissen Kittel dann noch die qualifizierte Aussage machte, dass die Hand meines Sohnes nicht schön aussehe, schlug meine Stimmung endgültig von säuerlich auf richtig sauer um. Nun ja, wir waren ja auch nicht in die Notaufnahme gekommen, weil wir seine Hand so unglaublich schön fanden. Hallo? Die gute Frau Weisskittel schickte uns – man darf dreimal raten – ins nächste Wartezimmer. Und wer nun denkt, dass wir dort zum dritten Mal einen Fragebogen ausfüllen mussten, der hat absolut RECHT! Ich dachte, dass bei meinem steigenden Puls wahrscheinlich ich die nächste sein würde, welche mit Verdacht auf Herzinfarkt in einem Rollstuhl sitzt.

Da sassen wir also, absolut entnervt, und trauten unseren Augen nicht. Da wurden Menschen mit Schnupfen, welchen sie gemäss eigenen Angaben erst seit 3 (!) Wochen hatten, in der Notaufnahme behandelt. Und der vermeintliche Herzinfarkt wartete immer noch im Rollstuhl. Auch werde ich bis heute nicht verstehen, wie man auf die Idee kommt, mit Rückenschmerzen, welche seit 5 Tagen andauern, abends in die Notaufnahme zu fahren. Ein total übermüdeter Arzt versuchte während dessen verzweifelt, das Wartezimmer „abzuarbeiten“. Ich verstand die Welt nicht mehr. Mein Sohn erst recht nicht! Nach knapp 3 Stunden beschlossen wir, das Spital ohne Behandlung zu verlassen. „Dafür müssen sie mir diesen Bogen ausfüllen und unterschreiben“, zischte es aus dem Kabäuschen beim Empfang. Zettel Nummer vier! Rekordverdächtig!

Fazit: Mein Sohn hat die Nacht schlaflos mit Schmerzmitteln überstanden. Am anderen Morgen gingen wir zum Hausarzt, welcher eine Röntgenaufnahme machte um festzustellen, dass der Mittelhandknochen gebrochen war. Wir erklärten ihm, dass wir die Notaufnahme unverrichteter Dinge wieder verlassen hätten, weil man dort einfach keine Zeit für uns hatte. „Ihr müsst verstehen, dass das schon vorkommen kann. Das sind auch nur Menschen und können auch nicht mehr, als einen Patienten nach dem anderen zu behandeln.“ Absolut einleuchtend. Bleibt nur zu hoffen, dass sich der Herzinfarkt oder die Hirnblutung in Zukunft immer schön an die Dienstzeiten hält, sonst könnte es brenzlig werden.

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6 Kommentare

  1. claudialasetzki

    Hoffe, dass er bald wieder gesund wird! 😄

    • danielajaeggi

      Danke, schon geschehen! Ist zum Glück schon ne Weile her! 🙂

  2. Emily

    Leider habe ich solche Szenarien auch schon erlebt und ich kann nur sagen: Gruselig. Es gibt Dinge, die können einfach nicht gewollt sein!
    Liebe Grüße, Emily

  3. Mrs_Holmes

    Oje, leider ist dieses Szenario scheinbar sehr oft in den Krankenhäusern anzutreffen. Mein Mann kam vor 5 Wochen in diesen „Genuß“, saß wegen akuter Atemnot auch 3 Stunden einfach nur rum bis man ihn – naja, nicht behandelte aber zumindest ein Krankenbett zugewiesen hat.
    Ich selbst musst die Notaufnahme bisher 3 Mal in Anspruch nehmen – das war aber immer gynäkologischer Natur und ich wurde auch sofort auf die entsprechende Abteilung verwiesen, ein Glück.
    Deinem Sohn gute Besserung!

  4. schnipseltippse

    Meine Oma schickten sie neulich an einem Freitag auch wieder heim mit Schmerzmitteln… Am Mittwoch drauf akuter Zustand, wieder hin und diesmal OP noch am gleichen Abend. Darmverschluss durch einen (bösartigen) Tumor.
    Hätten sie freitags auch schon sehen können, aber wahrscheinlich dachten sie, das wäre nur so’ne Alte, die aus Langeweile kommt.
    Ich glaube, Notaufnahme ist für alle Beteiligten Horror.

    Aber ansonsten kann ich nicht meckern. Meinem 3 jährigen wurde ohne viel Papierkram der gebrochene Arm gegipst, und als ich den vorzeitigen Blasensprung hatte war die Reaktion auch 1a.

    Ich glaube, das ist auch immer Glückssache, wann man dort eintrifft.

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