von süss bis ungeniessbar

Morgentoilette

Jeder Mensch hat sein eigenes Morgenritual im Badezimmer. Genauso unterschiedlich wie die Menschen sind daher wohl auch Ablauf und Dauer des Rituals. Manche brauchen die Morgendusche, um überhaupt erst wach zu werden. Andere finden es fürchterlich, sich morgens unter die Dusche zu stellen. Die einen fahren sich mit den Händen zwei Mal durchs Haar und damit ist die Frisur gemacht. Andere waschen, föhnen und frisieren bis zum Umfallen, bevor sie das Haus verlassen können. Am meisten fallen die Unterschiede bei der Morgentoilette ins Gewicht, wenn man gemeinsam mit Freunden in Urlaub fährt. Während die einen in fünf Minuten bereit zum Frühstück sind, müssen andere den Wecker eine Stunde vorher stellen, um halbwegs ansprechbar zu sein.

Eines habe ich aber inzwischen auch bei mir festgestellt: Trotz raspelkurzem Haar, welches tatsächlich in einer Minute frisiert ist, dauert mit zunehmendem Alter die Morgentoilette immer länger. Zuerst dachte ich, das läge daran, dass ich immer langsamer werde – bis mir auffiel, dass auch die Anzahl der Töpfchen und Tegelchen mit jedem weiteren Jährchen steigt. Es kann also eigentlich nur damit zusammenhängen, dass ich inzwischen bei Gesicht und Körper vom Renovieren zum Restaurieren übergegangen bin. Früher hat die getönte Tagescrème gereicht, um ansehnlich auszusehen. Inzwischen ist es so, dass ich eine Standardgrundierung brauche, um die Falten mindestens halbwegs zu glätten. Eigentlich sind sie zwar nach wie vor da, aber halt mit etwas Farbe aufgefüllt. Zugegeben, eine optische Täuschung, welche beim Abschminken immer zur Enttäuschung wird. Aber im Zeitalter von Photoshop zieht man morgens alle Register, um nicht noch älter auszusehen. Auch die Tendenz der Haut, mit den Jahren Richtung Süden zu wandern, kann man mit den richtigen Schminktricks zwar nicht verhindern, aber doch ansehnlicher machen. Die leicht hängenden Augenlider und die netten Tränensäcke müssen ja nicht unbedingt jedem entgegenschreien: „Hallo, ich habe schlecht geschlafen und bin keine zwanzig mehr!“

Also wird nach der Morgendusche das Streich- und Spachtelritual immer länger. Schliesslich musste ich mit zwanzig meinen Körper noch nicht einschmieren, um die Haut halbwegs geschmeidig zu halten. Auch mein Gesicht hat sich nach dem Duschen damals noch selber entfaltet. Heute habe ich manchmal das Gefühl, dass auch die Bügel-Dampfstation sich an meinem Gesicht die Zähne ausbeissen würde. Also kommen – natürlich immer in der gleichen Reihenfolge – die verschiedenen Crèmes und Farben zum Einsatz, was doch inzwischen mehr als fünf Minuten in Anspruch nimmt. Was ich ganz besonders hässlich finde, sind die Tage, an welchen ich den Kissenabdruck auch nach einer Stunde am Frühstückstisch immer noch auf der Wange habe. Wie man einen Kissenabdruck wegretuschiert, habe ich nämlich bis heute nicht herausgefunden. Bei Seersucker-Bettwäsche wird der Abdruck besonders schön: Da sieht man nämlich aus, als ob man das Muster eines Löchersiebs im Gesicht hätte. Keine Ahnung, wie ich das manchmal hinbekomme, aber an diesen Tagen sehe ich in der Regel auch nach fünf Schichten Restaurierung nicht besser aus. Dass mir inzwischen ein zweites Kinn wächst, weil die Erdanziehungskraft offenbar immer stärker wird, finde ich auch nicht unbedingt erbaulich. Wie man letzteres zum Verschwinden bringt, weiss ich übrigens tatsächlich nicht. Dass es mit Rollkragenpullis nicht funktioniert, habe ich aber inzwischen herausgefunden. Das versuche ich nämlich immer wieder; mit dem Resultat, dass der Rollkragen das zweite Kinn noch besonders auffällig nach vorne schiebt. Gelobt sei der Winter, wenn man die richtig dicken Halstücher tragen kann. Die helfen doch sehr beim Verstecken dieser unschönen Zone. Und in den beheizten Räumen ist halt Schwitzen angesagt. Schönheit muss leiden, das war schon immer so!

 

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12 Kommentare

  1. theomix

    Wunderbar geschrieben. Ich habe an der besagten Stelle für Rollis einen männlichen Weg beschritten. Ein Bart kann verdecken. oder es zumindest versuchen. Das nur am Rande…

  2. huggi1963

    Ich habe das Gefühl, je mehr ich versuche meine Falten zu überdecken, desto „schöner“ ragen sie hervor!!! Von daher lasse ich es lieber 🙂 Aber ganz ungeschminkt gehe ich auch nicht aus dem Haus… Ein bisschen Farbe muss schon sein 😉

  3. Klara Loesch

    Hallo liebe Modepraline,

    schade dass man/frau in der digitalen Welt nicht das Lächeln sehen kann, welches ich nach dem Lesen deines Beitrags als Schmuck im Gesicht trage. Aber schreibe kann ich es dir ja :).

    Vielen Dank dafür!

  4. schnipseltippse

    Hihi… Das erinnert mich an eine Stand-up-Comedian aus Deutschland, auch keine 20 mehr, die davon erzählte, das sie eigentlich keinen BH mehr bräuchte, sondern nur noch überlegen muss, ob sie „die Brüste mit in die Unterhose stopfen soll oder sie einfach über die Schulter schmeißen.“
    Das bringt mich heute noch zum Lachen 😀
    Na, aber mal im Ernst. Lieber in Würde mit ein paar Falten altern, als ohne Falten und ohne Mimik, weil man sich mit Botox gleich alles glättet.

    • danielajaeggi

      Yep, das sehe ich genau so! Donatella Versace schafft es immer wieder, mir die Nackenhaare zu Berge zu stellen….:-)

  5. kolibrikind

    Ich frage mich grade: Who cares? Wen interessiert denn, ob man Falten hat? Natürlich, einen selbst vielleicht. Aber: Man wird ja nun mal älter und jedem sieht man das irgendwann an. Klar, dem einen früher, dem anderen später. Aber warum macht man sich denn den Stress, sich jeden morgen zu maskieren, obwohl mit dem Körper nur etwas ganz Natürliches passiert? Warum „muss“ Schönheit leiden? Ich fühle mich auch ungeschminkt in Jogginghose wohl. Nein, ich fühle mich ungeschminkt in Jogginghose viel besser, weil ich dann natürlich bin. Klar schminke ich mich auch mal. Für Parties, selten auch mal für ein Date. Wobei ich mich dann hinterher immer frage „Warum mache ich das? Das bin nicht ich“. Ich finde gar nicht, dass man für Schönheit leiden muss! Das, was eine Frau am Schönsten macht ist in den meisten Fällen ja doch ihr Lächeln. Und dieses Lächeln, das macht doch die meisten Falten. Ich hätte auf jeden Fall keine Lust, jeden morgen etwas zu retuschieren, was ja doch abends wieder zu mir gehört.

    Klar, wir haben hier völlig unterschiedliche Standpunkte, aber ich wollte das einfach mal loswerden.

    • danielajaeggi

      Da hast DU absolut recht und ich muss dazu sagen, dass ich gerne übertreibe beim Schreiben. Ein 08/15-Text ist nämlich saulangweilig zu lesen. Ich gehöre nicht unbedingt zur Spachtelbrigade, aber mehr Pflege braucht es mit den Jährchen auf jeden Fall. Und es ist schön, wenn sich auch mal jemand kritisch äussert. Danke fürs Feedback!! 🙂

      • kolibrikind

        Gerne 🙂 Na gut, das mit dem 08/15 Text sehe ich ein und mehr Pflege ist sicherlich angebracht. Ich reagiere nur immer ein bisschen angezickt auf negatives Selbstbild, aber wenn das nur künstlerische Freiheit war, ist ja alles gut. 😉 🙂

      • danielajaeggi

        Auf meiner Startseite „über mich“ habe ich geschrieben, dass ich Meisterin im Übertreiben bin. That’s it!! Und dennoch: Kritik ist immer gut! Und ich finde mich saumässig ok, wie ich bin – geschminkt und ungeschminkt – beides in Ordnung! 🙂

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