von süss bis ungeniessbar

Was macht Beda Stadler?

Ich habe 2015 mit Beda Stadler ein Interview machen dürfen. Seit die Debatten um die Impfplicht wieder entbrannt sind, ist Beda Stadler in aller Munde. Und unser Interview aktueller denn je. Als grosser Fan von Beda schalte ich deshalb unser Interview 4 Jahre später noch einmal auf:

 

Beda Martin Stadler (65) ist emeritierter Professor und ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern. Sein Gebiet ist die Grundlagenforschung im Gebiet der Allergologie und Autoimmunität und die angewandte Forschung zur Herstellung von rekominanten humanen oder künstlichen Antikörpern und Impfstoffen für die Therapie. Er gilt als grosser Kritiker der Alternativmedizin und ist gleichzeitig sehr religionskritisch.

 

Beda Stadler, als Professor „im Ruhestand“ und ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie der Uni Bern sind Sie ein überdurchschnittlich gescheites „Haus“. Verstehen Herr und Frau Schweizer, wenn Sie in der Alltagsssprache à la Stadler sprechen?

Der Fachjargon ist tatsächlich ein Problem. Es ist verlockend, sein Unwissen dahinter zu verstecken. Anfänglich war es ziemlich anstrengend, nur Worte zu gebrauchen, die von allen verstanden werden. Da es keine dummen Fragen gibt, sondern nur dumme Antworten, lag es somit an mir, die Situation zu verändern. Letztlich hat mir das aber sogar bei den Vorlesungen geholfen. Versteht ein Student etwas nicht, liegt das Problem beim Dozenten, nicht beim Studenten. Dies gilt allerdings nur für rationale Fragen, nicht für Glaubensfragen.

Aufgefallen sind Sie immer wieder durch Ihre Kolumnen mit bissigen Seitenhieben gegen die Alternativmedizin. Provozieren Sie gerne?

Die Provokation ist die schnellste Art und Weise, etwas auf den Punkt zu bringen. Zudem bin ich ungeduldig und betrachte mich als Selbstverteidiger. Ich habe nicht die Nerven, mir stundenlang den Stuss anderer Leute anzuhören. Wollte ich mir das antun, würde ich dafür in eine Kirche gehen. Jeder hat das Recht, noch so absurdes Zeug zu glauben, aber niemand hat das Recht, mir seinen Glauben aufschwatzen zu wollen. Ganz nach dem Motto: Bete nicht in meiner Schule, dafür denke ich nicht in deiner Kirche! Ich muss allerdings zugeben, dass es mir Spass macht, mich über alle Formen von Aberglauben – sei es Bio, Alternativmedizin, Esoterik oder Religion – lustig zu machen.

Denken Sie, dass Aufkärung im Bereich der Medizin eine gewisse Provokation braucht, damit der Mensch von heute zuhört?

Ich glaube nicht, dass es die Provokation braucht. Man sollte aber unterhaltend und wahrhaftig sein. Leider wirkt diese Haltung für die meisten Menschen bereits wie eine Provokation. Viele Wissenschaftler verwechseln seriöse Information mit Langeweile. Es gibt meiner Meinung nach kein Recht, einen anderen Menschen zu langweilen und ihm damit Zeit zu stehlen. Viele Dinge, die ich vor Jahren sagte, waren einst eine Provokation. Heute regt sich niemand mehr auf, sie sind ein Teil des Zeitgeistes und keine Provokation mehr. Die Aufklärung wird letztlich siegen, schliesslich haben die Hexenverbrennungen bei uns abgenommen.

Was sagen Sie, wenn Ihnen ein missionierender Homöopath erklärt, dass er auch Krebs mit seinen Kügelchen heilen kann?

Würde ein Homöopath in meiner Gegenwart so was behaupten, würde ich ihn bitten, mir dies schriftlich zu geben. Danach würde ich ihn für seine menschenverachtende Haltung vor Gericht ziehen – in der Hoffnung, dass er viel Geld verliert oder eine Zeit lang ins Gefängnis wandert. Übrigens habe ich in den letzten Jahren viele Homöopathen kennen gelernt. Darunter war kein einziger, von dem ich den Eindruck hatte, er würde irgend etwas davon glauben, was seine Anhänger herumerzählen. Ich habe auch noch nie eine Frau kennengelernt, die mit Kügelchen eine Schwangerschaft verhindern will. Wenn’s drauf ankommt, scheint die Homöopathie intuitiv nicht zu wirken…
Als ich einmal sagte, Homöopathen hätten nicht alle Tassen im Schrank, hat mir ein Homöopath zwei Tassen gesandt. Das war übrigens bislang der einzige Homöopath, der ein wenig Humor gezeigt hat. Leider waren die beiden Tassen so potthässlich, dass ich sie gleich wegschmeissen musste – und somit am Humor selbst dieses Homöopathen zweifelte.

Weibeln Sie für die Präimplantationsdiagnostik oder lehnen Sie sich zurück und überlassen das der New Generation?

Es ist eine Katastrophe, dass sich derzeit fast niemand für die Präimplantationsdiagnostik einsetzt. Ich hoffe, ich erhalte noch irgendwo eine Gelegenheit, etwas dafür zu tun. Leider gibt es für solche wichtigen, humanistischen Anliegen einfach keine Lobby. Es ist schade, dass viele rationale Menschen sich von der Politik fernhalten, aber es ist verständlich.

Sind Sie mit den Jahren ruhiger geworden, oder können Sie sich immer noch so wunderbar aufregen, wenn die Alternativmediziner die Studien der Schulmedizin einfach so im Vorbeigehen über den Haufen werfen wollen?

Ich rege mich etwas weniger auf. Das hat aber nichts mit meinem Alter zu tun, sondern mit der Tatsache, dass Alternativmediziner in meiner Gegenwart etwas vorsichtiger geworden sind. Schliesslich ist es ihnen gelungen, ihre Placebos in unserer Verfassung zu verankern. Wir sind das einzige Land auf diesem Planeten, das einen solchen Unfug in der Verfassung hat. Dies ist aber dermassen lukrativ für die Alternativmediziner, das sie etwas kleinlauter wurden, um ihre Pfründe zu schützen. Zudem beobachte ich eine Kehrtwende bei den Studenten. Medizinstudenten glauben diesen alternativen Mist je länger je weniger. Das ist doch erfreulich!

Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen in den letzten Jahren wieder mehr Vertrauen in die Schulmedizin gewonnen haben, oder wird die Chügelibrigade stärker?

Das Vertrauen in die Schulmedizin wächst eigentlich ständig. Alle wollen Schulmedizin, falls sie wirklich krank sind. Was sich geändert hat, ist das Verlangen von Gesunden nach Alternativmedizin, wofür sie sogar noch staatliche Beihilfe bekommen, um sich ihren esoterischen Glauben von anderen Leuten bezahlen zu lassen. Viele Schweizer haben sich über die Gier der Bänker aufgeregt, aber die Gier der Gesunden auf gratis Wellnesspräparate scheint ungebrochen. Viele wollen Präparate und Streicheleinheiten in der Höhe ihrer Krankenkassenprämien beziehen, damit sie per Ende Jahr finanziell quitt und gesund sind. Unser Gesundheitssystem basiert aber auf Solidarität. Wer das Geld der Gemeinschaft mit Alternativmedizin verprasst, verhält sich ziemlich asozial.

Angenommen, Sie erwachen mit 40 Grad Fieber, irgendwo im Nirgendwo – und neben Ihnen steht ein Fläschchen mit Similisan-Kügelchen. Sont nichts! Nehmen, oder grinsen, umdrehen und weiterfiebern?

Ich würde alle Kügelchen auf einmal in meinen Tee kippen, weil ich ihn süss mag. Zudem würde ich mich daran erinnern, wie die Juristen dieser Firma mich verklagen wollten, weil ich in einer Kolumne spasseshalber gesagt habe, Similisan komme vom lateinischen „simulare“, weil nur Simulanten solche Kügelchen zu sich nehmen. So was will ich natürlich nicht mehr behaupten, sonst habe ich wieder Juristen auf dem Buckel, und da ist mir ein wenig Fieber doch noch lieber.

Herzlichen Dank, für dieses erfrischend offene Interview und alles Gute für die Zukunft!

mehr über die Arbeit von Beda Stadler unter www.immunology.unibe.ch

Geld regiert die Welt

Meine regelmässigen Blogleser/innen wissen es, den anderen sage ich es jetzt: Medizinisch war ich schon immer überdurchschnittlich interessiert. Und weil wir seit einem halben Jahr direkt mit dem Thema Krebs konfrontiert sind, gibt es kaum etwas, was von mir nicht gelesen, abgeklärt, druchgesehen, angefragt, hinterfragt und angezweifelt wurde. Wenn man sich so intensiv mit einer Thematik auseinandersetzt, kommt man zwangsläufig auch mit vielen Betroffenen in Kontakt. Was ich da immer und immer wieder höre, stellt mir die Nackenhaare zu Berge: Die Zweiklassenmedizin wird derart fies betrieben, dass ich gar nicht wissen möchte, wieviele Patienten gestorben sind, weil es IHR Medikament wegen des hohen Preises nicht auf die Kassenliste geschafft hat und somit nicht bezahlt wurde. Das ist schon mal eine katastrophale Seite der Zweiklassenmedizin. Die Krebsmedikamente sind zum Teil derart teuer, dass die Kassen sich gegen diese Preise wehren und den Pharmagiganten den Hahn zudrehen wollen, indem sie die Medikamente ganz einfach nicht auf ihre Liste aufnehmen. Ob die Pharmas wirklich darunter leiden, wage ich zu bezweifeln … wer aber ganz bestimmt darunter leidet, sind die Patienten.
Stell sich nur mal einer vor, euch würde gesagt, dass ihr nur noch ein paar Wochen zu leben habt. Und dann würdet ihr fragen, ob es denn gar nichts gebe, was man dagegen tun könne. Der liebe Doktor müsste dann sagen: „Leider nicht. Das einzige Medikament, welches derzeit helfen würde, wird von den Kassen nicht bezahlt und kostet pro Packung 35’000.– Franken.“ Peng! Falls ihr jetzt den Kopf schüttelt: Dies sind durchaus übliche Kosten für Krebsmedikamente, denn die Pharmagiganten wissen, dass die meisten Menschen ALLES bezahlen würden, um zu überleben. Und so können sie die Preise bis ins Niemandsland treiben.
Selbst wenn die Kassen diese unglaublich teuren Medikamente bezahlen, so ist da immer noch der Selbstbehalt, den der Patient berappen muss. Und in manchen Ländern werden solche Medikamente gar nur an Selbstzahler abgegeben. Hä? Inzwischen ist mir auch klar, warum man uns so ziemlich als erstes nach der Schockdiagnose Krebs gefragt hat, ob man eine finanzielle Beratung bräuchte. Ich dachte nämlich damals, ob die uns veräppeln wollen, weil wir echt andere Probleme hatten, die uns quälten.

Inzwischen sind unglaublich clevere Forscher darauf gekommen, dass es durchaus günstigere (sehr viel günstigere) Medikamente gäbe, welche man in der Krebstherapie einsetzen könnte. Man lese nur mal über die Wirkung von Cannabis (THC) oder Methadon. Da diese Wirkstoffe aber sehr günstig sind, werden sie natürlich von der Pharmalobby boykottiert – damit kann man nämlich nicht Milliardengewinne machen. An Tumortagungen sprechen sich Pharmaredner selbstverständlich GEGEN solche Alternativen aus. Sie seien zu wenig wirksam, nicht gut genug getestet und es seien weit bessere Medikamente in der Pipeline, welche demnächst auf den Markt kämen. Mit solchen und ähnlichen Sätzen wird den Ärzten wieder ein teures Medikament mehr aufgeschwatzt, was mich aus der Haut fahren lässt.

Ich bin der Meinung, dass eine Krebsdiagnose schon hart genug ist. Muss man sich dann wirklich auch noch mit der Beschaffung des Geldes auseinandersetzen, um an ein schier unbezahlbares Medikament zu kommen, welches möglicherweise helfen würde? Oder muss man sich im anderen Fall wirklich zuerst gegen alle Gegner der günstigen Varianten alleine durchsetzen, um so eine mögliche Lebensverlängerung zu erreichen?

Mein Kreis an Betroffenen ist durch meine Sensibilität zum Thema sehr gewachsen. Ich bin ganz klar der Meinung, dass Medikamente, welche das Leben verlängern oder gar ein Überleben sichern könnten, für ALLE zugänglich sein sollten. Es kann nicht angehen, dass Otto Normalverbraucher erst kriminell werden muss, bevor an die nötigen Hilfsmittel kommt. Und ich spreche hier nicht von Entwicklungsländern – ich spreche von Europa und der reichen Schweiz. Ich frage mich, ob die Pharmabosse noch gut schlafen können, wenn sie den Preis solch wichtiger Medikamente festlegen. Und dabei habe ich durchaus in Betracht gezogen, dass Knowhow, Forschung und Entwicklung eine Menge Geld kosten. Aber wenn ein Pharmaunternehmen rund 10 Milliarden Gewinn erwirtschaftet, dann wäre eine Preissenkung der Medikamente wohl durchaus möglich – oder liege ich da so falsch? Sowas macht mich stinksauer!!! 🙁

Anmerkung zum Thema Medikamente, welche in den USA entwickelt und auf den Markt gebracht wurden: Wenn Pfizer oder ähnliche US-Pharmagiganten ein Medikament auf den Markt bringen, so haben sie ein 5-Jahrespatent auf selbiges. In dieser Zeit bestimmen sie den Preis, welcher für das Medikament bezahlt werden muss. Länder, die dieses Produkt auf ihre Liste aufnehmen wollen, müssen also bereits beim Einkauf unfassbare Preise dafür bezahlen. Erst nach Ablauf des Patents öffnet sich der Markt und es ist möglich, günstigere Generika auf den Markt zu bringen – somit fallen die Preise auch erst nach Ablauf dieser Zeit auf ein vernünftiges Niveau. Für viele Krebspatienten leider viel zu spät…

Ungesund

Fallpauschale – Spezialitätenliste – Zusatzversicherung – Upgrade – Hausarztmodell – etc.

All diese Begriffe gehören zu unserem Gesundheitssystem – ein System, dass kranker gar nicht sein könnte. Otto Normalverbraucher, der täglich arbeitet und seinem Verdienst nachgeht, kann sich in der Regel gerade mal noch eine Grundversicherung leisten. Mehr liegt nicht mehr drin. Und diese Grundversicherung müsste eigentlich ehrlicherweise eher Abgrund-Versicherung heissen. Sie deckt zwar ab, dass man in unserem Land nicht auf dem Gehsteig sterben muss … dann wird es – wenn man ehrlich ist – aber auch schon kritisch. Leider bin ich seit Monaten mehr bei Ärzten und in Krankenhäusern, als mir lieb ist. Und dadurch erlebe ich so einiges – nicht nur durch die eigene Erfahrung, sondern auch durch Beobachtungen, welche ich bei langen Wartezeiten machen kann.

Der Satz: „Wie sind Sie denn versichert?“ entscheidet nicht selten über die Tatsache, ob das Prozedere danach lange dauert, oder schnell und angenehm läuft. Schliesslich ist man im Krankenhaus heute kein Patient mehr, sondern ein Fall. Und da nach Fallpauschalen abgerechnet wird, müssen möglichst viele Fälle durchs System laufen, damit es sich rechnet. Es sei denn, man ist so gut versichert, dass man ein rentabler Patient ist … dann sieht es etwas anders aus.

Ich kann den Ärzten und Krankenhäusern nicht einmal einen Strick daraus drehen, denn sie haben den Druck der Kassen im Nacken. Und erschwerend müssen sie neuerdings mit all den verschiedenen Varianten pro Fall gefühlt 100 Formulare ausfüllen – selbstverständlich zu Lasten der Patienten. Aber auch eine äusserst gute Versicherung garantiert keinen reibungslosen Ablauf und kein gutes Gefühl. Jeder Patient sollte eine Kampfsau an der Seite haben, die für ihn hinsteht, sich wehrt, hinterfragt, nachhakt und kritisch hinschaut. Traurig, aber wahr. Mein Tochterkind und ich sind in den letzten Monaten zu meisterhaften Kampfschweinchen geworden … vor, neben und hinter dem Göttergatten. Jederzeit und überall! Nach all unseren bisher gemachten Erfahrungen möchte ich mir gar nicht ausmalen, was mit jenen ist, die niemanden haben, der sich für sie einsetzt. Da kann es schon passieren, dass man als Patient zum Spielball eines total kranken Gesundheitssystems wird … und vielleicht während des Spiels den Löffel abgibt, weil man vergessen gegangen ist. Das kann es doch wirklich nicht sein, oder? Wir schimpfen uns ein hochzivilisiertes, technologisiertes und wahnsinnig qualifiziertes Vorzeigeland. Manchmal frage ich mich einfach, wo genau wir das sind. Die Fassade mag vielleicht glänzen … dahinter sieht es aber ganz schön düster aus!

Ich wünsche jedem „Fall“ eine eigene Kampfsau … wenn schon der Mensch in den Hintergrund rückt, dann soll wenigstens ein kämpfendes Tier an die Front!

Was macht Beda Stadler?

Ich habe 2015 mit Beda Stadler ein Interview machen dürfen. Seit die Debatten um die Impfplicht wieder entbrannt sind, ist Beda Stadler wieder in aller Munde. Und unser Interview aktueller denn je. Als grosser Fan von Beda schalte ich deshalb unsere Interview 4 Jahre später noch einmal auf:

 

Beda Martin Stadler (65) ist emeritierter Professor und ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern. Sein Gebiet ist die Grundlagenforschung im Gebiet der Allergologie und Autoimmunität und die angewandte Forschung zur Herstellung von rekominanten humanen oder künstlichen Antikörpern und Impfstoffen für die Therapie. Er gilt als grosser Kritiker der Alternativmedizin und ist gleichzeitig sehr religionskritisch.

 

Beda Stadler, als Professor „im Ruhestand“ und ehemaliger Direktor des Instituts für Immunologie der Uni Bern sind Sie ein überdurchschnittlich gescheites „Haus“. Verstehen Herr und Frau Schweizer, wenn Sie in der Alltagsssprache à la Stadler sprechen?

Der Fachjargon ist tatsächlich ein Problem. Es ist verlockend, sein Unwissen dahinter zu verstecken. Anfänglich war es ziemlich anstrengend, nur Worte zu gebrauchen, die von allen verstanden werden. Da es keine dummen Fragen gibt, sondern nur dumme Antworten, lag es somit an mir, die Situation zu verändern. Letztlich hat mir das aber sogar bei den Vorlesungen geholfen. Versteht ein Student etwas nicht, liegt das Problem beim Dozenten, nicht beim Studenten. Dies gilt allerdings nur für rationale Fragen, nicht für Glaubensfragen.

Aufgefallen sind Sie immer wieder durch Ihre Kolumnen mit bissigen Seitenhieben gegen die Alternativmedizin. Provozieren Sie gerne?

Die Provokation ist die schnellste Art und Weise, etwas auf den Punkt zu bringen. Zudem bin ich ungeduldig und betrachte mich als Selbstverteidiger. Ich habe nicht die Nerven, mir stundenlang den Stuss anderer Leute anzuhören. Wollte ich mir das antun, würde ich dafür in eine Kirche gehen. Jeder hat das Recht, noch so absurdes Zeug zu glauben, aber niemand hat das Recht, mir seinen Glauben aufschwatzen zu wollen. Ganz nach dem Motto: Bete nicht in meiner Schule, dafür denke ich nicht in deiner Kirche! Ich muss allerdings zugeben, dass es mir Spass macht, mich über alle Formen von Aberglauben – sei es Bio, Alternativmedizin, Esoterik oder Religion – lustig zu machen.

Denken Sie, dass Aufkärung im Bereich der Medizin eine gewisse Provokation braucht, damit der Mensch von heute zuhört?

Ich glaube nicht, dass es die Provokation braucht. Man sollte aber unterhaltend und wahrhaftig sein. Leider wirkt diese Haltung für die meisten Menschen bereits wie eine Provokation. Viele Wissenschaftler verwechseln seriöse Information mit Langeweile. Es gibt meiner Meinung nach kein Recht, einen anderen Menschen zu langweilen und ihm damit Zeit zu stehlen. Viele Dinge, die ich vor Jahren sagte, waren einst eine Provokation. Heute regt sich niemand mehr auf, sie sind ein Teil des Zeitgeistes und keine Provokation mehr. Die Aufklärung wird letztlich siegen, schliesslich haben die Hexenverbrennungen bei uns abgenommen.

Was sagen Sie, wenn Ihnen ein missionierender Homöopath erklärt, dass er auch Krebs mit seinen Kügelchen heilen kann?

Würde ein Homöopath in meiner Gegenwart so was behaupten, würde ich ihn bitten, mir dies schriftlich zu geben. Danach würde ich ihn für seine menschenverachtende Haltung vor Gericht ziehen – in der Hoffnung, dass er viel Geld verliert oder eine Zeit lang ins Gefängnis wandert. Übrigens habe ich in den letzten Jahren viele Homöopathen kennen gelernt. Darunter war kein einziger, von dem ich den Eindruck hatte, er würde irgend etwas davon glauben, was seine Anhänger herumerzählen. Ich habe auch noch nie eine Frau kennengelernt, die mit Kügelchen eine Schwangerschaft verhindern will. Wenn’s drauf ankommt, scheint die Homöopathie intuitiv nicht zu wirken…
Als ich einmal sagte, Homöopathen hätten nicht alle Tassen im Schrank, hat mir ein Homöopath zwei Tassen gesandt. Das war übrigens bislang der einzige Homöopath, der ein wenig Humor gezeigt hat. Leider waren die beiden Tassen so potthässlich, dass ich sie gleich wegschmeissen musste – und somit am Humor selbst dieses Homöopathen zweifelte.

Weibeln Sie für die Präimplantationsdiagnostik oder lehnen Sie sich zurück und überlassen das der New Generation?

Es ist eine Katastrophe, dass sich derzeit fast niemand für die Präimplantationsdiagnostik einsetzt. Ich hoffe, ich erhalte noch irgendwo eine Gelegenheit, etwas dafür zu tun. Leider gibt es für solche wichtigen, humanistischen Anliegen einfach keine Lobby. Es ist schade, dass viele rationale Menschen sich von der Politik fernhalten, aber es ist verständlich.

Sind Sie mit den Jahren ruhiger geworden, oder können Sie sich immer noch so wunderbar aufregen, wenn die Alternativmediziner die Studien der Schulmedizin einfach so im Vorbeigehen über den Haufen werfen wollen?

Ich rege mich etwas weniger auf. Das hat aber nichts mit meinem Alter zu tun, sondern mit der Tatsache, dass Alternativmediziner in meiner Gegenwart etwas vorsichtiger geworden sind. Schliesslich ist es ihnen gelungen, ihre Placebos in unserer Verfassung zu verankern. Wir sind das einzige Land auf diesem Planeten, das einen solchen Unfug in der Verfassung hat. Dies ist aber dermassen lukrativ für die Alternativmediziner, das sie etwas kleinlauter wurden, um ihre Pfründe zu schützen. Zudem beobachte ich eine Kehrtwende bei den Studenten. Medizinstudenten glauben diesen alternativen Mist je länger je weniger. Das ist doch erfreulich!

Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen in den letzten Jahren wieder mehr Vertrauen in die Schulmedizin gewonnen haben, oder wird die Chügelibrigade stärker?

Das Vertrauen in die Schulmedizin wächst eigentlich ständig. Alle wollen Schulmedizin, falls sie wirklich krank sind. Was sich geändert hat, ist das Verlangen von Gesunden nach Alternativmedizin, wofür sie sogar noch staatliche Beihilfe bekommen, um sich ihren esoterischen Glauben von anderen Leuten bezahlen zu lassen. Viele Schweizer haben sich über die Gier der Bänker aufgeregt, aber die Gier der Gesunden auf gratis Wellnesspräparate scheint ungebrochen. Viele wollen Präparate und Streicheleinheiten in der Höhe ihrer Krankenkassenprämien beziehen, damit sie per Ende Jahr finanziell quitt und gesund sind. Unser Gesundheitssystem basiert aber auf Solidarität. Wer das Geld der Gemeinschaft mit Alternativmedizin verprasst, verhält sich ziemlich asozial.

Angenommen, Sie erwachen mit 40 Grad Fieber, irgendwo im Nirgendwo – und neben Ihnen steht ein Fläschchen mit Similisan-Kügelchen. Sont nichts! Nehmen, oder grinsen, umdrehen und weiterfiebern?

Ich würde alle Kügelchen auf einmal in meinen Tee kippen, weil ich ihn süss mag. Zudem würde ich mich daran erinnern, wie die Juristen dieser Firma mich verklagen wollten, weil ich in einer Kolumne spasseshalber gesagt habe, Similisan komme vom lateinischen „simulare“, weil nur Simulanten solche Kügelchen zu sich nehmen. So was will ich natürlich nicht mehr behaupten, sonst habe ich wieder Juristen auf dem Buckel, und da ist mir ein wenig Fieber doch noch lieber.

Herzlichen Dank, für dieses erfrischend offene Interview und alles Gute für die Zukunft!

mehr über die Arbeit von Beda Stadler unter www.immunology.unibe.ch

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