von süss bis ungeniessbar

Wenn die Seele Löcher hat

Nach den letzten Monaten und dem täglichen Kampf auf dem Onkoplaneten hat meine Seele soviele Löcher, dass man mich locker als emotionale Giesskanne benutzen könnte. Man zeigt beim Wort Seele intuitiv immer auf den Brustbereich. Sollte die Seele wirklich dort sitzen, so müsste bei mir so langsam alles, was ich esse oder trinke, dort wieder rauslaufen. So fühlt es sich zumindest an.

Und weil ich Zeit habe, um nachzudenken, lassen diese Löcher jede Menge kleiner Panikmännchen rein. Das sind fiese kleine Dinger, die das Herz zum Rasen, den Angstschweiss zum Rinnen und den Kopf zum Pochen bringen. Da legt sich blitzschnell ein enger Eisengürtel um die Brust und erschwert das Atmen … und egal wohin man rennt … die Angst sitzt im Nacken. Im Fachbegriff nennt man sowas Panikattacken. Und ich kann euch sagen: Die Dinger sind anstrengend, beängstigend und fies.

Jaja: Panikattacken bringen einen nicht um, das weiss ich. Aber sie sind deswegen nicht weniger gemein. Ich will mich auch nicht beschweren, dass die Dinger durch die Löcher in meine Seele marschieren – ich könnte einfach nur gut darauf verzichten. Sätze wie: „Pass auch auf Dich auf“, oder „Trag Sorge zu Dir, sonst bist Du Deinem Göttergatten auch keine Stütze mehr“, die klingen zwar wunderbar – ich habe einfach bis heute keine Ahnung, wie man das macht. Ich kann nicht einfach aus meiner Haut. Ich mache mir Sorgen; ich denke viel nach; ich habe Albträume und ich weiss manchmal nicht, wie ich all das handeln soll. Dabei noch zu sich Sorge zu tragen oder das Leben zu geniessen – ich weiss nicht, wie das funktionieren soll!

Narben von Operationen heilen – Narben auf der Seele hinterlassen oft weit tiefere Spuren. Ich wäre also sehr dafür, dass meine angstmachenden Panikmännchen aus den Löchern in meiner Seele rausmarschieren, um beim Göttergatten die unerwünschten Krebsgesellen im Körper zu fressen. Dann hätten sie wenigstens mal etwas sinnvolles gemacht. Wäre das ein Plan? Also ich fände diesen Plan ja phantastisch, dann wären nämlich gleich alle Probleme mit einem Schlag gelöst. Und wir wären wieder die glücklichsten Menschen. Wie gerne würde ich aufwachen und es wäre so … die Modepraline hat gerade üblen seelischen Kriechgang und ein mentales Energieloch sondergleichen. Wer also etwas Glück oder Energie loswerden möchte … ihr wisst ja, wo ihr mich findet. Und ich teile auch gerne alles mit dem Göttergatten … er kann es genauso gebrauchen, auch wenn er es niemals zugeben würde.

Zuhause im Glück?

Knapp zwei Wochen sind der Göttergatte und ich (und ein paar Tage sogar noch der Sohnemann und das Tochterkind) in „unsere“ liebe Stadt Hamburg geflüchtet. In den letzten zwei Jahren ist die Hansestadt unser zweites Zuhause geworden.

Bedingt durch die Krankheit des Göttergatten haben wir die letzten drei Monate fast nur in unseren vier Wänden, in Krankenhäusern und bei Ärzten verbracht. Und weil demnächst erneut eine grosse Operation ansteht, hat er sich ein paar Tage „Auszeit“ in Hamburg gewünscht. Und das war gut so! Andere Umgebung, andere Menschen, andere Themen und irgendwie für kurze Zeit ein kleiner Sprung auf einen anderen Planeten. Runter vom Onkoplaneten – rein ins vermeintlich normale Leben.

Und genauso hat es sich jetzt bei der Rückreise angefühlt. Nichts von Freude auf das Zuhause – nichts von Motivation für neue Pläne – einfach NICHTS! Für einen kurzen Moment haben wir uns sogar überlegt, auf den Scheisskrebs (tschuldigung) zu pfeifen und einfach auf dem normalen Planeten zu leben … ohne Chemie, ohne Operation, ohne irgendwas. Wer weiss denn schon, was werden wird. Aber eben: Für einen kurzen Moment nur – denn schliesslich greift man nach jedem Strohhalm, wenn es ums Leben geht. Und wir haben dieser fiesen Krankheit schliesslich den Kampf angesagt – gemeinsam! Also müssen wir da nun offenbar durch. Das Gefühl, einfach nicht mehr nach Hause zu wollen und auch kein Glück zu spüren, wenn man wieder im trauten Heim ist – dieses Gefühl ist neu und ziemlich erschreckend. Es ist so, als ob die Krankheit hier überall mit fiesem Gesicht sitzen würde. Auf dem Sofa, am Küchentisch, im Kühlschrank … sogar auf dem Klo. Und überall grinst sie mir mit der grässlichen Fratze entgegen.

In Hamburg war das anders. Der Kopf hatte auf „Pseudonormal-Modus“ gestellt, was das Leben um einiges einfacher macht. Kaum zu Hause, ist alles wieder da: Die Agenda mit den vielen Arzt- und Krankenhausterminen, die vielen Medikamentenschachteln, der Ordner mit den Befunden und den Krankenberichten – einfach alles, was diese hinterlistige Krankheit betrifft.

Klar – der Krebs war in Hamburg mit dabei (leider), aber es hat sich anders angefühlt. Für uns, wie auch für den Göttergatten. Es war so ein kleines bisschen Normalität in unserem Onkoalltag. Und jetzt: Bäm! Alles fühlt sich in null Komma nix wieder an, als ob man im Hamsterrad rennen würde. Das Gefühl, nach Hause zu kommen und sich auf dem falschen Planeten zu wähnen … dieses Gefühl ist richtig gemein. Zuhause im Glück? In unserem Fall leider derzeit überhaupt nicht. Und der Blick in die Zukunft bringt im Moment vor allem eines: Ungewissheit und Angst. Ich wünschte, ich könnte zaubern – niemals habe ich mir das mehr gewünscht, als jetzt! Aber wir haben uns eines vorgenommen: Im Frühsommer sind wir wieder in Hamburg, jawohl!!! 🙂

Loslassen

Wer mich kennt, weiss es – wer mich nicht kennt, erfährt es jetzt: Ich bin eine Oberglucke! Was das ist? Nun ja, eine Mama halt, die ihre Küken (inzwischen erwachsen) am liebsten für immer und ewig unter den Flügeln behalten möchte. Eine Vollblutmama, die sich zurückhalten muss, um dem Nachwuchs nicht mit der Bemutterung total auf den Senkel zu gehen. Eine jener Mütter eben, die den Sprösslingen am liebsten alle Unwidrigkeiten im Leben ersparen und ihnen alles aus dem Weg räumen möchte. Und ich weiss, dass man damit den Kindern keinen Gefallen tut. Weiterlesen

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