Wo sind die Machos hin?

Ich bin aufgewachsen im Zeitalter der „starken Männer“. Also, nicht nur, dass die TV-Serie Wickie und die starken Männer das Bild des Mannes in dieser Zeit untermalte – wir wuchsen noch mit dem Bild des muskulösen, bärtigen, rauhen und beschützenden Mannes mit der tiefen Stimme auf. Dazu gehörte auch der Satz: „Richtige Männer weinen nicht!“ In meiner Kindheit war vollkommen normal, dass Mädchen weinen. Jungen aber taten gut daran, dies nicht zu tun. Es sei denn, sie wollten als Schwächlinge, Weicheier oder als schwul abgestempelt werden. Dieses Denkmuster war für mich damals total normal. Heute bin ich entsetzt darüber! Und heute kann ich nur schmunzeln, wie sich mit dem Wandel der Zeit das Bild des Mannes um 180 Grad gedreht hat. Also eigentlich von einem Extrem ins andere.

Heute sind Männer besonders toll, wenn sie ihre Gefühle öffentlich zeigen, im TV in Tränen ausbrechen, die Pflegeprodukte der Frauen benutzen und alles, was irgendwie allzu männlich wirkt, entfernen lassen. Dazu gehören vor allem die Brusthaare. Dann natürlich die Achselhaare. Manche machen sogar mit den Haaren an den Beinen kurzen Prozess und die Augenbrauen werden auch gezupft. Auch die typischen Frauenfarben pink und lila haben sich in der Männermode schon lange ihren festen Platz ergattert. Der mutige Mann trägt auch gerne mal Bling-Bling. Natürlich haben auch die grossen Modemarken schon lange kapiert, dass sie mit dem neuen Mann Geld verdienen können. Dinge, die früher uns Frauen vorbehalten waren, sind heute mindestens genauso die Domäne der Männer. Während früher ein Mann höchstens zum Kauf eines Gutscheines in ein Geschäft von Louis Vuitton ging, hält heutzutage die männliche Kundschaft dort locker mit den Frauen mit. Taschen, Koffer, Schals, Gürtel, Sonnenbrillen und Schuhe mit dem berühmten LV-Monogramm sorgen bei den Männern genauso für glänzende Augen, wie bei den Frauen. Und während die knallenge Jeans früher dem Frauenpo vorbehalten war, tragen heute auch die jungen Männer diese knackigen Dinger.

Dieser Wandel der Zeit ist lustig, denn auch für die Frauen hat er ja ganz viel Veränderung mit sich gebracht. Hätten wir früher einen jungen Mann im Fernseher weinen sehen, hätten wir vermutlich ein hämisches Grinsen übrig gehabt, und ihn nie und nimmer zum Mann haben wollen. Heute löst eine männliche TV-Heulsuse bei der Frauenwelt Kreischalarm aus. Ein solcher Mann ist süss, einfach zum Gernhaben, zum Beschützen und am liebsten gleich zum Einpacken und Mitnehmen. Ja, die heutigen Frauen wollen mindestens genauso beschützen, wie dies früher die Männer wollten. Wie lustig ist das denn? Eine Anzeige in der Zeitung unter „sie sucht ihn“ hätte früher wie folgt gelautet:

„Ich suche einen starken Mann, der anpacken kann, gerne für mich und meine Kinder da ist und es schätzt, von mir bekocht zu werden. Wenn Du zudem einer geregelten Arbeit nachgehst, Dich zu Hause um nichts kümmern möchtest und dafür das Handwerkliche regelst, dann freue ich mich auf Deine Zuschrift unter Chiffre …..!“

Heute ist die Variante eher:

„Liebevoller, gefühlsbetonter Mann mit viel Herz und Diskussionsbereitschaft gesucht. Du kochst gerne, magst ausgiebige Shoppingtouren und bist genauso ein Fan von Wellnessferien wie ich, dann melde Dich unter Chiffre….!“

Mit Spannung beobachte ich, wie diese Entwicklung weiter geht. Ich habe nämlich immer öfter das Gefühl, dass die Männer sich gerne wieder emanzipieren möchten. Mal schauen, ob sie ihre männlichen Podeste zurückerobern.