von süss bis ungeniessbar

Dezembermärchen …

… oder es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre!

Da gehe ich abends im Dunkeln mit klein Ellie nochmal raus für eine Gassirunde und kurz vor der ersten Kurve begegnet mir ein kleiner leuchtgrüner Knollen. Auf den ersten Blick sieht er aus wie eine geschrumpfte Kartoffel mit Pickeln – bei näherem Hinschauen sehe ich zwei blinkende Äuglein und kleine Hände, die erfreut klatschen.

„Was zum Geier … „, murmle ich vor mich hin. Und Ellie winselt verwirrt. Die kleine Schrumpfkartoffel nähert sich und flüstert:

„Bist Du alleine unterwegs?“
Ich so: „Ehm, ja … oder siehst Du sonst noch jemanden?“
Es: „Ich sehe leider nicht sehr gut, aber ich rieche, schmecke und fühle. Draussen ist das leider etwas mühsam.“
Ich so: „Was machst Du hier überhaupt?“
Es: „Ich warte!“
„Und worauf?“
„Auf ein paar Leute, die gemeinsam unterwegs sind!“
Ich motze: „Warum, bin ich Dir nicht gut genug?“
Es: „Nun ja, Du bist etwas mühsam mit Deinem Desinfektionsmittel in der Jackentasche und dem Halstuch vor der Nase!“
„Hä? Wer zum Geier bist Du?“
Es: „Oh, tschuldigung, hab ich mich nicht vorgestellt? Mein Name ist Covid der Neunzehnte aus Wuhan.“
Ich trete instinktiv gefühlt 20 Schritte zurück und gucke das hässliche kleine Ding verdutzt an.
„Du willst mir jetzt nicht allen ernstes erzählen, dass DU das bist? Covid 19 – das fiese kleine Virus, welches die ganze Welt über den Haufen wirft und für viel Elend sorgt?“
Die grüne kleine Schrumpfkartoffel reibt sich diebisch seine patschigen Minihände und meint keck:
„Sorry, aber das macht ihr alles ganz alleine! Ich wurde nur geboren und ihr gebt mir täglich mehr Möglichkeiten, mich und meine Milliarden von Familienmitgliedern bei euch niederzulassen und zu vermehren.“
Ich runzle die Stirn. „Niemand von uns hat Dich eingeladen und wollen tun wird Dich schon gar nicht!“
Es: „Und warum macht ihr mir dann das Leben so einfach? Ich bin nur so schlau, wie ihr dumm seid!“
Ich werde sauer: „Ich finde Dich ganz schön aufmüpfig und frech!“
Es: „Wieso – ich will ja nicht sterben … und ihr gebt mir glücklicherweise jede Menge Möglichkeiten, dass ich das auch nicht muss.!
Ich keife sauer: „Und warum verpisst Du Dich nicht einfach wieder?“
Es: „Weil ich schon lange nicht mehr alleine bin und meine Abermilliarden von Mitgliedern gerne selber entscheiden, was sie tun wollen. Ihr nehmt uns aber tagtäglich die Entscheidung ab, indem ihr uns guten Mutes weitertragt und grosszügig verschenkt. Wie sollten wir uns da zurückziehen wollen?“

Dann stockt die kleine grüne Schrumpfkartoffel, schaut an mir vorbei und quiekt: „War nett, mit Dir zu plaudern … aber da kommt meine Mitreisegelegenheit – ich muss los!“

… und weg ist er, mitsamt der Gruppe Menschen, die mit ihren Walkingstöcken im Stechschritt an mir vorbeiziehen.

… und ich gehe nachdenklich mit kleine Ellie meine Gassirunde und frage mich, was noch alles passieren muss, bevor der Mensch erkennt, dass es Dinge gibt, die er mit Trotz, Macht, Rücksichtslosigkeit und Unvernunft nicht in den Griff bekommen wird. 🙁

Logik eines „Sonderlings“

Vorweg schon mal: Ihr müsst nicht in Panik ausbrechen, ich grenze niemanden aus. Der Sonderling nennt sich selber sogar Behindi. Soweit wollte ich nun nicht gehen … drum heisst er bei mir Sonderling. Ich finde, das passt besser.

Der Sonderling ist ein deutscher Jüngling, mit dem ich seit fast einem Jahr intensiven Kontakt habe. Wir schreiben, telefonieren oder simsen und lachen dabei viel – obwohl man eigentlich denken müsste, dass es für ihn nicht viel zu lachen gibt. Er hat nämlich vor einem Jahr die niederschmetternde Diagnose malignes Glioblastom Grad IV bekommen. Dies ist ein absolut bösartiger Hirntumor, der die mittlere Überlebenszeit mit wenigen  Monaten angibt. Keine schönen Aussichten. Er aber hat aus diesem Ereignis ein neues Leben kreiert. Ein Leben mit dem „Kumpel im Kopf“, wie er den Tumor nennt. Und er lässt sich den Spass am Leben trotz aller Widrigkeiten nicht nehmen. Sein Humor ist für viele Menschen gewöhnungsbedürftig, ich finde ihn einfach nur weltklasse.

So kam es, dass wir letzthin abends zusammen telefoniert haben, weil ihm das Schreiben zu kompliziert war … seine Fingerchen waren nämlich klamm von der Kälte. Da drängte sich bei mir die Frage auf:

„Warum hast Du kalte Finger?“
Er so: „Weil ich auf dem Balkon stehe.“
Ich so: „Was zum Teufel machst Du auf dem kalten Balkon?“
Er: „Rauchen – das ist draussen gesünder als drinnen!“

S T I L L E !!!!

Seit wann wird Rauchen in einem Satz in Verbindung mit „gesund“ benutzt? Hä??? Nun ja, auch da war seine absolut pragmatische Erklärung prompt:

„Auf dem Balkon kommt wenigstens noch frische Luft dazu?“

Oh, wieso bin ich auch selber nicht drauf gekommen? Dann sind doch alle Outdoorraucher ab sofort auch nicht mehr gefährdet, durch ihr Laster krank zu werden. Alles klar! Ich würde mal meinen, dann müssten die Statistiken ja sehr in Richtung Gesundheit zeigen, schliesslich ist heutzutags beinahe überall das Rauchen indoor verboten. Das scheint also einfach die Logik eines Sonderlings zu sein, der einen nicht erwünschten Kumpel im Kopf mit sich rumträgt. Und bevor ihr jetzt alle schimpft: Seine Art von Rauchen beschränkt sich auf medizinische Zwecke – und er hat ohnehin in seinen Augen nicht mehr sooooo wahnsinnig viel zu verlieren. Höchstens noch an Lebenszeit und Qualität zu gewinnen. Drum: Go for it, mein Lieber – Du kippst mit Deinem Humor die Überlebensstatistik locker.

Leben will gelernt sein

Lebt ihr schon oder rennt ihr noch?

Mit meinen stolzen 50 Jahren (fast) und einem grossen Rucksack an Lebenserfahrung habe ich in der letzten Zeit etwas ganz extrem gemerkt: Wenn man wirklich lernen will, wie man lebt, dann ist man in der Schweiz am falschen Ort. Alles, was uns Schweizer auszumachen scheint, sind Werte, welche für eine gute Lebensqualität höchstens hinderlich sind. Da hätten wir zum Beispiel:

Pünktlichkeit
Disziplin
Zuverlässigkeit
Strebsamkeit
Erfolg
Ansehen
Titel
und vieles mehr, was nicht glücklich macht.

Während viele Nationalitäten rund um uns herum schon lange gelernt haben, die Fünf mal grade sein zu lassen, die Messlatte nicht immer zu hoch zu legen und nicht alles nur auf die Zukunft auszurichten, lernen Herr und Frau Schweizer das wohl nie. Wir sichern uns ab bis in alle Ewigkeit. Unsere Planung liegt mit dem Fokus immer auf dem Pensionsalter. Wir rennen Tag ein Tag aus der Perfektion hinterher und versuchen alles, um die wichtigen Dinge immer sogleich zu erledigen. Unwichtige Dinge wie Reisen, Familienzeit oder einfach nur SEIN, all diese Dinge können gemäss Herr und Frau Schweizer ja warten … bis irgendwann. Und da stellt sich mir jeden Tag aufs Neue die Frage: Wissen wir überhaupt, was wichtig und was unwichtig ist? Können wir in der Schweiz überhaupt leben … oder sind wir Meister darin, hoffentlich bis zum Pensionsalter zu ÜBERleben, um dann vielleicht endlich ein bisschen zu geniessen? Ich glaube nämlich, dass das zweite der Fall ist und wir – falls wir überhaupt bis zur Pension kommen – auch nach der Arbeitszeit nicht wissen, wie man lebt. Im Gegenteil: In der Schweiz werden nicht selten Menschen, welche den Fokus auf das LEBEN legen, als Verlierer oder Aussteiger abgestempelt.

Liebe Leser/innen, wenn ich euch einen echten Herzenstipp geben darf: Legt euren Fokus auf das HIER und JETZT … die Vergangenheit ist ohnehin schon durch und wenn man ständig in der Zukunft lebt, dann vergisst man dabei leider die Gegenwart. Und genau die ist es, in welcher wir gerade sind. Jetzt, in dieser Sekunde – durchatmen, und leben. Ich lerne es auch noch … jeden Tag!

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