Kleiner Stammtisch – grosse Probleme

Die Welt ist ziemlich aus den Fugen geraten. Die Medien sind voll mit Hiobsbotschaften aus allen Richtungen und täglich werden wir mit dramatischen Meldungen und Bildern konfrontiert, die manchen Optimisten in die Knie zwingen. Es gibt Tage, an welchen man am besten die Medienleitungen kurz mal alle kappt, um wieder Luft zu bekommen. Oder man macht es wie der Göttergatte und ich – und geht in eine hiesige Landgaststätte, um sich nach dem Marsch mit dem Hund einen Kaffee zu genehmigen. Und da werden die wirklich echten Probleme dieser Welt in ausgiebiger Lautstärke diskutiert.

„Hast Du gesehen, dass der Müller schon wieder einen neuen Wagen fährt?“
„Ja, der Typ ist bestimmt ein Zuhälter, anders kann man sich sowas doch gar nicht leisten.“
„Ich bin sowieso der Meinung, dass der noch nie ganz sauber war, aber seine Alte ist noch viel schlimmer!“
„Ist das die Blondierte, die immer so sauwichtig in die Welt schaut?“
„Ja, genau die. Die war hier kürzlich sogar auf der Toilette – ich kann dir sagen: Das ist vielleicht eine Sau!“
„Dacht ich mir, so sieht sie auch aus.“
„Ja, die hat nicht gespült und die Toilette hat gestunken wie ein Saustall!“
„Mich würde ja nicht überraschen, wenn die Hundefutter fressen würde, so wie die aussieht.“
„Also dem Gestank nach könntest Du absolut recht haben.“
„Ich frag mich ja schon lange, was der an dieser Hexe sieht. Die würd ich an die Grenze stellen und zurück in den Osten schicken.“
„Ah, so eine ist das also!?“
„Klar, schau dir doch die Kopfform an. Die haben alle diese viereckigen Schädel und diesen falschen Blick. Zum Kotzen, diese Weiber.“

Diese unendlich weltbewegenden und total fundierten Diskussionen gingen im Schnellzugtempo kreuz und quer über den Stammtisch, sodass mein Mann und ich kein Wort miteinander wechselten, weil wir völlig abgelenkt und unangenehm berührt ständig mithören mussten. Phänomen Unfall: Man will nicht hinsehen und tut es doch. Nach einer Viertelstunde bezahlten wir und ergriffen die Flucht.

Hab ich schon erwähnt, dass ich mir den Gang zur Toilette verkniffen habe (obwohl ich eigentlich ganz gerne meine Blase entleert hätte), weil ich vermeiden wollte, dass ich womöglich anschliessend zum Stammtischthema werde, weil ich vielleicht die falsche Haarfarbe, den falschen Mann oder die falsche Nationalität habe. Oder weil mir unterstellt werden könnte, dass ich aufgrund meiner Urinfarbe (wie auch immer das möglich sein sollte) Katzenfutter verspeise. Kleiner Stammtisch mit grossen Problemen eben…

36 Gedanken zu „Kleiner Stammtisch – grosse Probleme

  1. Ich beschränke mich mal auf die ersten beiden Sätze deines Beitrags (der Rest spricht eig für sich :))) :
    Wir hören fortlaufend in den Medien von dem Land Syrien, das unter geht, von Dürren bei denen die Menschen verhungern, von den Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Arabern, diversen Kriegen, Terrororganisationen, Klimaveränderungen, Umweltschädigungen und und und und …..
    Und an all dem sind wir in den sog. „zivilisierten Ländern“ natürlich völlig unschuldig !!!!
    Wenn es nicht so traurig wäre, und andere Menschen darunter bis zum Exzess zu leiden hätten, könnte man sagen: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es zurück

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  2. wenn ich anfange mich mit Mitmenschen unwohl zu fühlen (und sei es ich mag nicht pisseln) dann denke ich darüber nach ob mir diese Menschen gut tun….oder war das mehr spaßig?

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      • so sehe ich das auch, ich weiss dass das spaßig gemeint war und ablenken sollte. man hört ja genug in den Medien. Wenn die Menschen keine anderen Probleme haben als Blondinen und Toilettenzustände, dann muss man sie eben lassen. Drei vier Bier und sie haben keine Grenzen mehr in den Kneipen.

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  3. So etwas gab es schon immer und es wird sich daran nichts ändern. Die Menschen sind halt so. Bevor ich „irgendwo“ einkehre, schaue ich mir die Leute und das Lokal an und wenn es mir nicht gefällt, dann kehre ich auch nicht ein. Gehe dann lieber in die Natur pinkeln.
    Ich wünsche Dir ein schönes, gemütliches Wochenende.
    LG
    Gabriele

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  4. Da wär ich wohl auch geflüchtet. In so manchem Beisl hier in Wien lassen sich ähnliche Diskussionen mitverfolgen, muss sagen allzu lang halt ich sowas auch unter der Prämisse „soziologische Feldforschung“ nicht aus ^^ Es geht ein Weilchen aber wenn man zu lang bleibt verliert man den Glauben an die Menschheit (und da ist von vorneherein bei mir nicht allzuviel vorhanden, muss ich aufpassen, dass mir nicht zu viel davon abhanden kommt).

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