Zeit des Vergessens

Wir werden alle immer älter. Die Medizin macht es möglich! Leider kommen damit aber auch Krankheiten wie Altersdemenz oder Alzheimer immer öfter vor. Und da stellt sich mir immer wieder die Frage, ob ich tatsächlich so alt werden möchte.

Ich habe in der eigenen Familie diese Krankheit über Jahre sehr nah miterlebt, und ich kenne liebe Menschen, welche seit Jahren einen sehr kranken Menschen pflegen und dabei immer wieder über ihre Grenzen hinausgehen müssen. Schlimm für die Betroffenen, noch viel schlimmer für die Angehörigen!

Ich frage mich immer wieder, wieviel man als Betroffener im letzten Drittel der Krankheit noch mitbekommt. Da streiten sich nämlich die Geister! Auch wenn ich bei der mir sehr nahestehenden Person immer und immer wieder das gleiche erzählen musste, so hatte ich doch das Gefühl, dass sie sich wohlfühlte, wenn ich in ihrer Nähe war. Selbst in der Phase der Krankheit, als sie doch sehr aggressiv und manchmal schon bösartig sein konnte, kam ich immer gut weg. Also musste sie wohl noch unterscheiden können, gegen wen sie ihre Aggressionen wenden wollte.

Solange es möglich war, holten wir sie zum Weihnachtsfest zu uns nach Hause und sie schaute immer ganz verzückt den geschmückten Tannenbaum an. Zwar wollte sie bestimmt gegen 30 mal wissen, ob denn schon Weihnachten sei – aber irgendwie schien sie dieses Gefühl zu kennen und damit Erinnerungen zu verknüpfen.

Ich für meinen Teil finde diese Krankheit furchtbar. Müsste ich mich zwischen einem körperlich tödlichen Gebrechen oder aber dieser Krankheit des Vergessens entscheiden – ich bin mir nicht sicher, ob mir da das körperliche Gebrechen nicht lieber wäre. Denn damit könnte ich zumindest bis fast zum Schluss selber entscheiden, ob ich freiwillig aus dem Leben scheiden möchte. Sterbehilfe bei Alzheimerpatienten ist ja aber nicht mehr möglich, wenn die Krankheit schon soweit fortgeschritten ist, dass der Patient nicht mehr im Vollbesitze seiner geistigen Fähigkeiten ist. Und das geht leider ziemlich schnell. Die Angehörigen haben also irgendwann keine andere Wahl, als ein Häufchen Mensch ohne klare Gedanken bis in den Tod zu pflegen – auch wenn sie möglicherweise wüssten, dass der Patient das niemals so gewollt hätte. Sterbehilfe geht da nicht mehr.

Es gibt Tage, an welchen ich massig Dinge vergesse – und dann denke ich immer: „Bloss bitte nicht diese Krankheit. Lass es normale Vergesslichkeit sein.“ Ich möchte nicht vergessen, wer ich bin, wer meine Familie ist, wer meine Freunde sind, wie man spricht, wie man isst oder wie man sich bewegt. Da möchte ich lieber vorher selber gehen. Das wäre mein Wunsch!

35 Gedanken zu „Zeit des Vergessens

  1. Liebe Dani,
    Dein heutiger Beitrag freut mich, weil ich vor kurzem ebendieselbe Meinung zum Ausdruck brachte und das Gefühl hatte, nicht verstanden zu werden. Nun gut, ich hab es auch nicht so sensibel und ausführlich wie Du erklärt. Danke, dass ich mich nicht wie ein Alien fühlen brauche. Ich wünsch Dir ein schönes Wochenende 😃

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  2. Vielleicht sollte man nicht immer von sich und seinem (Angehörigen-)Gefühl ausgehen…den Betroffenen geht es vielleicht besser als man denkt, man weiß es nur nicht…deshalb von Sterbehilfe zu sprechen, hat schon einen bitteren Beigeschmack!

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  3. Wie ich schon mal erwähnte ist meine Mutter Dement plus die Tatsache, dass ihr Gleichgewichtssinn gestört ist. Innerhalb eines Jahres hatte sie unzählige Knochenbrüche. Auch ihr Sprachzentrum ist arg in Mitleidenschaft gezogen und trotzdem hängt sie an ihrem stark eingeschränktem Leben. Sie hat sich mittlerweile ganz gut im Pflegeheim eingewöhnt und sogar eine Freundschaft geschlossen.
    Für mich sind die Besuche in der Senioren Residenz immer sehr anstrengend weil ich meine Alltagsgefühlswelten unten vor der Tür lassen muss… ein dementer Mensch reagiert stark auf Emotionen… wünschen wir uns allen Gesundheit und danke Dani für deinen Artikel! Liebe Grüße Rita

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  4. Körperliche Gebrechen, deren Schmerzen jeden klaren Gedanken schlucken, sind aber leider auch keine Option; erst recht nicht, wenn man den selbstbestimmten Endpunkt nicht zu überschreiten wagt.
    Es ist genauso schlimm, etwas (geistig) zu wollen, aber körperlich nicht zu können, wie auch (von dir geschildert) langsam den eigenen Kontrollverlust wahrnehmen zu müssen.

    Am besten wäre es, man hätte das Glück, halbwegs agil in Körper und Geist bleiben zu dürfen. Man muss mit 80 Jahren keinen Marathon oder die Weltmeisterschaft im Kopfrechnen gewinnen, aber in Würde altern zu dürfen, ist ein hoch zu achtendes Gut, sollte es einem vergönnt sein.

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  5. Ein Thema, für das es keine wirkliche Lösung gibt. Auch wenn es sich schlimm anhört: Es ist schlimm für die Betroffenen, es ist schlimm für die Angehörigen (die ja ihr eigenes Leben auch noch haben).
    Meine Mutter hatte, wenn überhaupt, eine leichte Form davon. Sie war dann im Seniorenheim. Da kann man jetzt dazu stehen, wie man will, jedoch sage ich, es war das Beste für sie und auch das Beste für die Angehörigen.
    Man könnte auch folgender Meinung sein (ob sie zutrifft….kein Ahnung): Früher wurden die Leute bei Weitem nicht so alt, und so gab es kein Alzheimer; dass es das heute gibt könnte ein Anzeichen dafür sein, dass der Mensch nicht dafür geschaffen ist, so alt zu werden?

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    • Früher konnten Menschen, so es die äußeren Umstände zuließen, auch richtig alt werden….ohne dabei zwingend an Alzheimer und Co zu erkranken.

      Natürlich setzen auf der einen Seite die körpereigenen Reparaturmechanismen im Laufe der Jahre immer mehr aus, sodass Schäden (natürliche Replikationsdefekte) am Genom zum Tragen kommen können (wobei man beachten muss, dass Krebs im höheren Alter oftmals ein kleineres Problem darstellt im Vergleich zu jungen Menschen, weil eben auch viele Wachstumsprozesse reduziert sind).

      Zum Tragen kommt in meinen Augen heute vielmals das, was wir unserem Körper zuführen oder unbewusst zuführen lassen. Vermehrte Ablagerungen im Gehirn wie bei Alzheimer sind daher nur logische Konsequenz.

      Auch Stressfaktoren dürfen nicht unterschätzt werden. Früher hatten die Menschen gleichsam Stress.
      Anderen Stress (auch das tägliche Überleben).
      Trotzdem glaube ich, dass heutzutage noch ganz andere Sachen auf den Menschen einprasseln als dazumal.
      Vor allem sind das heute Dinge, die in unserem alltäglichen Leben in diesem Umfang als normal aufgenommen werden (Bilderfluten, Lichtreize,…).

      FAKT IST, dass der Mensch in der Form nicht unsterblich sein kann. Oxidationsprozesse und ein sich mit der Zeit mehr und mehr auflösendes Genom (klingt gruselig, ist aber ganz normal) setzen ihn einer unbezwingbaren Endlichkeit aus.
      Das Leben hat noch keiner überlebt!

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  6. Auch bei Alzheimer gibt es noch den Moment, selbstbestimmt zu gehen. Die Diagnose kommt ja zu einem Zeitpunkt, zu dem die Betroffenen zwar verwirrt, aber noch nicht komplett durcheinander sind. Meine Mutter hat es sich überlegt, sich aber dann nicht getraut (vermute ich mal). Ich muss sagen, dass ich die Entscheidung immer respektiert habe und nicht feige fand. Je länger sie mit der Krankheit lebt, desto weniger fürchte ich mich davor. Natürlich ist es weitab von schön, die eigene Existenz zu vergessen. Aber meine Mutter scheint auf eine Art ruhiger als früher und sie kann noch erleben, dass ihr Mann, der sie die meiste Zeit der gemeinsamen Ehe ziemlich fies behandelt hat, nett zu ihr ist. Das erlebe ich als Tochter wie ein großes Wunder und ein Geschenk.

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  7. Mir geht es genauso. Ich möchte auch in keinem Heim landen und von Leuten gepflegt werden! Ich glaube die Hauptangst ist, dass man die Kontrolle über sich selbst verliert!
    Als einer meiner Söhne in der 3. Klasse war, musste er ein Altersheim besuchen und ihnen vorlesen. Er war so geschockt, dass er mich fragte, ob er mich später dort auch besuchen muss, wenn ich ihn nicht mehr erkenne.

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  8. Hm, ich hatte auch eine Mutter die früh an schnellem Alzheimer erkrankte…ich half meinem Vater trotz 3 kleiner Kinder bei der Pflege und als es nicht mehr ging kam sie ins Heim. Sie war eigentlich unserer Meinung nach immer glücklich, nicht aggressiv. Aber halt anstrengend für uns trotzdem. Und ich sagte meinem Mann und den Kindern danach. Gebt mich mal ungeniert lieber zu früh als zu spät ins Heim, macht euch nicht kaputt. Ich muss dass wohl an jedem Geburtstag ab jetzt wieder sagen, damit sie es nicht vergessen!!

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